Hilft beten?

Letzte Woche schrieb ich hier in meiner Kolumne für die „Kirche im NDR“ über Angst: Vor sich seltsam aufführenden Staatsmännern oder der zunehmenden Klimaproblematik. Und dass ich spüre, wie sehr mich solche Themen aufregen, die mich früher vielleicht gar nicht (so sehr) berührten.

Ich setzte mich mit der Frage auseinander, ob Bibelworte gegen diese Ängste helfen. Als Beispiel nenne ich: „Jesus sagt: ‚In der Welt habt ihr Angst, aber seid getrost, ich habe die Welt überwunden‘.“ (Johannes 16,33)

Mein Fazit: Eigentlich möchte ich die Politiker, die Klimawandelleugner, die Verschieber, die „ich fahre-trotzdem-im-SUV“-Typen anschreien. Okay, das klingt vielleicht etwas aggressiv. Aber: Eine Klage, ein Gebet, ein mich-an-Gott-wenden, so spüre ich, würde mir da nicht weiterhelfen. Das möchte ich in diesem Artikel ausführen.

Klage als biblisches Stilmittel

Die Bibel erzählt viel von Leid: persönlichem Leid und Schicksal, aber auch dem des Volkes Israel. Menschen werden von Gott von A nach B geschickt, von Feinden entführt oder gefangen gehalten. Bekommen extreme Aufträge, wie Abraham, der seinen Sohn Isaak als Brandopfer darbringen soll. Viele dieser Menschen erhalten von Gott im Traum oder in einer Offenbarung den Auftrag, darüber zu sprechen, und werden zu Profeten. Nicht wenige weigern sich allerdings, und wollen nicht – oder bestreiten, dies überhaupt zu können. Andere klagen von sich aus – Hiob ist dafür ein bekanntes Beispiel, der zum Spielball wurde und alles verlor.

Da die Bibel ein Buch sehr vieler verschiedener Stilrichtungen ist, lesen wir nicht nur Berichte über diese Menschen, sondern lesen auch ihre Klagen. Als Klagepsalm oder der Klage des Volkes. Traurig, wütend, verzweifelt, hoffnungslos, aber auch anklagend und fordernd wenden sich die Sprecher an Gott.

betende Hände
Gebet | Foto: Pixabay

„Ich bete für dich“

In meinem Bekanntenkreis gibt es inzwischen leider mehrere Menschen, die fiese und lebensbedrohliche oder nicht heilbare Krankheit haben. Gefühlt ist es ja so, dass man, je älter man wird, immer neue solcher Nachrichten erhält. Und sich jedes Mal neu ohnmächtig fühlt, wie man reagiert, um Worte ringt, Tröstendes sagen möchte (aber jedes Mal auch selber auf seine eigenen Grenzen zurückgeworfen wird).

„Ich bete für dich“, lese oder höre ich manchmal als guten Wunsch darauf.

Dieser Satz wirft mich immer wieder um. Natürlich ist er gut gemeint und vielleicht hilft er ja. Mich hinterlässt er aber auch sprachlos. Weil ich inzwischen merke: Ich will lieber schreien. Aus Leid – oder Mitleid –, aus Verzweiflung, aus Wut. Wie bei den Klimaverantwortlichen und den Selfie-Politikern.

Trägt mein Glaube mich nicht?

Gibt es ihn überhaupt? Warum kann ich mich nicht an Gott wenden?

Mir fehlt der konkrete Bezug, das merke ich. Das Gegenüber. Gott ist abstrakt geworden. Als Resultat klingt „Ich bete für dich“ für mich inzwischen wie eine Floskel, die nichts auslöst. „Wir beten für einen Wandel in der Klimapolitik“ oder „Wir beten für eine stabile Politik, die alle Menschen gleich behandelt“ – diese Sätze hören sich für mich an wie ein Haschen nach dem Wind.

„Ich sah an alles Tun, das unter der Sonne geschieht, und siehe, es war alles eitel und Haschen nach Wind.“

Prediger 1,14

Aktives Tun ist gefragt

Wenn es um den Klimawandel geht, bewundere ich „die jungen Leute“, die mit der Aktion Fridays for Future auf die Straße gehen. Endlich aufstehen – und ihre Wut äußern, um sich Gehör zu verschaffen. Die Verantwortliche anschreien. Sie wollen Taten sehen, die von der Politik weltweit viel zu sehr aufgeschoben wurden. Sie wollen einen schnellen Wandel, bevor es zu spät ist.

Fridays for Future | Foto: Unsplash, Markus Spiske

Mich beeindruckt das. Und ich spüre auch: Hier kann man, kann jeder selbst, kann ich etwas verändern. Überlegen, ob ich das Auto benutzen muss. Wie viel Fleisch ich essen möchte oder muss. Wie verantwortlich ich mit den Ressourcen umgehe.

Was ist das im Vergleich zu einem Gebet?

Es bleiben viele Fragen

Man kann politisches oder gesellschaftliches Engagement nicht mit dem Gebet vergleichen, ich weiß. Und ich stelle mir hier auch nur Fragen. Vielleicht sind die einen besser im Beten, die anderen im aktiven Handeln.

Doch zu spüren, wie wenig mir das Gebet inwischen bedeutet, schreckt mich auf – weil es (m)einen persönlichen religiösen Bedeutungsverlust beinhaltet.

„Helfen mir Bibelworte aus meiner Angst und Wut? Keine Ahnung“, schreibe ich in meiner Kolumne. Und das gilt auch hier. Keine Ahnung, was hilft. Aber es aufzuschreiben, mir bewusst zu machen, tut gut – auch wenn es gleichzeitg wehtut.

Inga
Nordlicht aus Hamburg, Schweden im Herzen, Katze auf dem Schoß und immer einen Tee neben sich.

2 Kommentare

  1. Hallo,
    Für mich gibt es diesen Widerspruch nicht so stark wie für dich. Beten heißt ja nicht die Hände in den Schoß zu legen. „Bete und arbeite“.
    Heiliger Zorn, als eine Emotion, die hochkommen muss, wo Ungerechtigkeit geschieht.
    Wenn beten, sedieren soll, verstehe ich dich. Aber so verstehe ich das nicht. Aktion kann auch Gebet sein.

  2. Guten Morgen Inga,
    ich spüre: „du bist aufgewacht!“ Du merkst aktuell, dass es dich nicht mehr beruhigt und der Welt absolut nicht hilft, wenn man nur betet. Taten sind jetzt gefragt. Das Beten kann für diejenigen begleitend nützlich sein, die selbst wegen Alter, körperlicher Gebrechen und Behinderungen, nicht mehr aktiv am Leben teilnehmen können. (Diese beten für dich und motivieren dich damit). All die Anderen müssen durch Taten glänzen, und wenn es nur der Weg zur Wahl (Abwahl) der Regierenden ist. Tu es! (Do it)
    Viele Grüße aus den schwedischen Wäldern
    Dieter

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