Isabel Allende: Mayas Tagebuch

Isabel Allendes neuestes Buch nimmt uns mit in eine abgelegene Landschaft: Chiloé, ein im Süden Chiles gelegenes Insel- und Naturparkgebiet, in das sich bestenfalls einzelne Touristen verirren, um schamanische Praktiken zu bestaunen.

Hierhin kommt die 19jährige Maya Vidal eines Tages – mehr oder weniger unfreiwillig, denn sie stammt aus Kalifornien und hat außer der Tatsache, dass ihre Großmutter aus Chile stammt, keinen weiteren Bezug zum Land. Maya hat allerdings eine sehr bewegte Vergangenheit, die die Autorin sie in Form eines Tagebuchs erzählen lässt.→ weiterlesen

Horst Evers: Der König von Berlin

Immer etwas schräg, so kennt man Horst Evers. Nun hat der Autor seinen ersten Kriminalroman veröffentlicht – was natürlich Erwartungen weckt.

Der Krimi spielt in Berlin, und schon im ersten Satz kommt eine Leiche vor. Allerdings ist es eine tote Ratte. Wer sich mit toten Ratten nicht anfreunden mag, sollte nicht weiter lesen, denn das ganze Buch spielt im Kammerjäger-„Milieu“. Berlin leidet seit einiger Zeit unter einer massiven Rattenplage, und das merkwürdigerweise erst seit dem Tod des „großen alten Mannes“ der Kammerjägerzunft. → weiterlesen

Die Geister schweigen

Der Titel des Buches von Care Santos ist etwas irreführend: bei diesem großartigen Buch handelt es sich weder um eine Geistergeschichte noch um einen Spukroman.

Vielmehr geht es in dieser Familiengeschichte um Amadeo Lax, einen (fiktiven!) Maler aus Barcelona. Die Familiengeister treten als Erzähler auf und nehmen uns mit durch die Zeit: angefangen bei den Großeltern und Eltern, treffen wir auch die Kinder und Enkel des Malers, und springen dabei durch die Jahre. Dies ist zwar am Anfang etwas verwirrend, dank der Zeittafel und des Stammbaums aber kein Problem.

Eine weitere Protagonistin ist Violeta, die Enkelin des Malers und selbst Kunsthistorikerin. Sie ist (in der Gegenwart) im ehemaligen Haus des Großvaters und wegen dessen Renovierung vor Ort, als merkwürdige zugemauerte Räume entdeckt werden. Es stellt sich heraus, dass einiges aus der Familiengeschichte etwas anders war, als Violeta vermutet hatte…
Im Laufe des Romans erhalten die Leser ein immer umfassenderes Bild der Familie, aber auch des Malers an sich.

Durch die verschiedenen Stilelemente (Roman, E-Mail, Katalogeintrag, und andere) liest sich das Buch sehr abwechslungsreich. Die Handlung begeisterte mich als Liebhaberin von Familiengeschichten, historischen Romanen und Biografien und besticht durch gerade diese Mischung.

Ein gelungenes Werk einer mir bisher unbekannten Autorin – und sehr lesenswert!

Care Santos: Die Geister schweigen
Krüger 2012.

Der Hundertjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand

Der Anfang des Buches ist so, wie der Titel verrät: Allan wird an diesem Tag 100 Jahre alt und soll vom Bürgermeister und anderen gefeiert und geehrt werden. Daraufhin ergreift Allan kurz vorher die Flucht und klettert (so gut das geht) aus dem Fenster seines Zimmers im Altenwohnheim.

Dass er am Bahnhof landet, einen Koffer mitgehen lässt und bei einem Kleinganoven landet, war ebenso wenig geplant wie die Tatsache, dass im Koffer 50 Millionen Kronen aus einem Drogengeschäft sind. Allan wird entsprechend verfolgt.

Der schon skurrile Anfang des Romans verspricht Gutes, und so geht es glücklicherweise auch weiter. Immer unglaublicher werden die Ereignisse!

Zwischen die Erzählung wird in eingeschobenen Kapiteln die Lebensgeschichte Allans erzählt: von seinem Aufwachsen in armen Verhältnissen, wie der Zufall ihn in eine Sprengstofffabrik führt, wo er ab dem 10. Lebensjahr arbeiten muss, sich aber immer weiter hocharbeitet und schließlich Ahnung davon hat, wie man am besten sprengt – bis hin zu seiner unglaublichen Lebensodyssee, die ihn nach Spanien, die USA, China führt, ihn zu Fuß den Himalaja überqueren lässt, nach Teheran, nur um nach einem wenige Tage dauernden Zwischenstopp in Schweden gleich wieder in die Sowjetunion entführt zu werden (per U-Boot!), im Gulag zu landen, nach Nordkorea zu reisen, um dann in Bali zu landen. Nach längerem Aufenthalt verschlägt es ihn nach Frankreich und wieder nach Schweden – wo wir irgendwann beim Anfang der Geschichte landen.

Hinzugefügt werden muss noch, dass Allan alle bedeutenden Staatsmänner des Jahrhunderts trifft und dazu beiträgt, dass die erste Atombombe gebaut werden kann. Natürlich gerät er als Experte für Sprengstoff und Bomben zwischen alle Fronten.

Der Roman lässt eigentlich keine Option offen. Skurril, fantasievoll, der Erzählstil manchmal sarkastisch, manchmal an Astrid Lindgren erinnernd und sehr gut übersetzt.

Ein Lesevergnügen, das man keinesfalls verpassen sollte!

Jonas Jonasson: Der Hunderjährige, der aus dem Fenster stieg und verschwand.
carl‘s books 2011.

Julie Orringer: Die unsichtbare Brücke

Ein Familienroman, der mich von Beginn an in den Bann gezogen hat: Hauptfigur ist der junge Andras, der aus Budapest nach Paris reist, um dort Architekturstudium zu beginnen.

Es ist 1937, und für einen Juden ist es damals schon schwierig, ein Visum und alle nötigen Papiere zu bekommen – aber mithilfe der jüdischen Gemeinde klappt es. Ohne ein Wort Französisch kommt Andras in Paris an. Er lernt jüdische Mitstudenten kennen, auch ein Professor ist Jude und Ungar – und Andras trifft die geheimnisvolle Claire Morgenstern, deren Familie er schon kurz vor der Abreise zufällig kennen gelernt hatte.

All das ist nur der Auftakt zu zwei intensiven Jahren in Paris, seiner Beziehung, einer amour fou, zu Claire und dem immer deutlicher werdenden Antisemitismus und dem Aufziehen des Nationalsozialismus. Wie eine Gewitterfront legt dieser sich über Andras‘ Leben, er muss nach Budapest zurückkehren. Die Repressalien nehmen ihren Lauf.

Orringers Romanepos (auf über 800 Seiten!) liest sich sehr gut, ist sprachlich herrlich und gut übersetzt. Die Dramatik der NS-Zeit wird den Lesern hier auf eine neue Art bewusst, denn wer kennt sich schon mit dem ungarischen Arbeitsdienst während des Kriegs aus? Und das persönliche Auf und Ab des Schicksals von Andras und Klara nimmt einen gefangen.

Erst am Ende wird klar, dass Orringer hier Teile ihrer Familiengeschichte verarbeitet. Zu dicht, zu wenig konstruiert ist die Handlung auch, als dass sie so hätte erdacht werden können.

Insgesamt: ein Buch mit hoher Intensität, das einen manchmal auch schlucken lässt – vor Glück, aber auch vor Unglück und Schicksal. Sehr lesenswert!

Julie Orringer: Die unsichtbare Brücke. KiWi 2011.